Kapitel 1 - Kostenlose Leseprobe

Als Crissy in das gelbe Taxi stieg, wusste sie im ersten Moment gar nicht, wie sie sich fühlen sollte. Einerseits war sie erleichtert, aus dem ‚Lime Light‘ entkommen zu sein. Die laute Musik, die vielen Menschen und die schlechte Luft hatten ihr regelrecht zugesetzt. Andererseits war sie todtraurig. Was sie schon länger geahnt hatte, war endlich Gewissheit geworden. Tom betrog sie mit ihrer besten Freundin Susan. Sie hatte die Beziehung augenblicklich beendet und war in Richtung Ausgang geeilt. Tom hatte noch versucht, sie zurückzuhalten, indem er sie am Arm packte. Doch Crissy riss sich los, stürmte aus dem Klub und sprang in das erste der Yellow Cabs, die immer vor dem ‚Lime Light‘ warteten. Sie nannte dem Fahrer ihre Adresse in Upper Manhattan, ließ sich in die Polster fallen und schloss die Augen.
Wilde Gedanken schossen ihr durch den Kopf. Was würde der morgige Tag bringen? Wie würde ihr Leben ohne Tom werden? Und ohne Susan, denn diese Freundschaft war ganz sicher auch beendet. Sollte sie überhaupt in New York bleiben? Und wenn nicht, wo sollte sie hin? Zurück zu ihren Eltern in den Mittleren Westen bestimmt nicht. Sie war froh, dieser Spießerhölle entkommen zu sein. Sie hatte Freunde in Chicago, die in ihrer Branche tätig waren. Vielleicht würde sich dort eine Chance ergeben. Andeutungen in dieser Richtung hatte es immer wieder gegeben. Aber wie ernst waren sie tatsächlich gemeint? Ihr Traum war es schon immer, sich in Kalifornien als Immobilienmaklerin selbstständig zu machen. Aber den Traum träumten viele, vielleicht zu viele.
Es waren sicher fünfzehn Minuten vergangen, bis Crissy das erste Mal die Augen öffnete. Der Fahrer des Yellow Cabs hatte zwischenzeitlich eine gläserne Trennwand hochgefahren. Eine Vorrichtung, die Crissy gar nicht bemerkt hatte, als sie in das Taxi gestiegen war. Die Scheibe war abgetönt und die orangene Armaturenbeleuchtung schimmert sehr schwach durch das Glas. Crissy konnte den vorderen Innenraum des Fahrzeugs nur schemenhaft erkennen. Ihr Blick wanderte zur Fahrerlizenz, die am Armaturenbrett klemmte und auf die etwas Licht fiel. Das Foto zeigte einen ziemlich dicken Mittfünfziger mit freundlichen Gesichtszügen. Crissy war sich sicher, dass der Fahrer, den sie beim Einsteigen flüchtig wahrgenommen hatte, anders aussah. Und auch das Wenige, das sie jetzt durch die getönte Scheibe erkennen konnte, passt nicht zu dem Bild auf der Lizenzkarte. Dieser Fahrer hier war sehr hager und auf einem dünnen und auffallend langen Hals saß ein kahler Schädel. Crissy beschlich ein ungutes Gefühl, das sich noch verstärkte, als sie einen Blick aus dem Fenster warf. Wo immer sie waren, das war auf keinen Fall der Weg zu ihrer Wohnung in Hamilton Heights.
„Wohin fahren Sie denn?“, rief Crissy und klopfte mit dem Fingerknöchel gegen die Scheibe. Der Fahrer reagierte nicht. Das Yellow Cab war mittlerweile mit einer für das nächtliche New York viel zu hohen Geschwindigkeit unterwegs. Crissy bemerkte, dass die Fahrgeräusche nicht mehr zum Tempo des Fahrzeugs passten. Es gab überhaupt keine Rollgeräusche, als ob der Wagen durch die mit Schlaglöchern übersäten New Yorker Straßen glitt, ohne dass die Reifen den Asphalt berührten. Crissy geriet in Panik.
„Halten Sie sofort an!“, schrie sie und hämmerte mit den Fäusten gegen die Scheibe. Der Fahrer zeigte keinerlei Regung. Crissy sah jetzt rechts von sich Wasser. Wenn sie nicht völlig die Orientierung verloren hatte, musste das der Harlem River sein, dachte sie. Was hatte der Mann am Steuer vor? Crissy zitterte mittlerweile am ganzen Körper. Sie versuchte, ihre Optionen abzuwägen, doch die panische Angst verhinderte jeden klaren Gedanken. Plötzlich verminderte der Wagen seine Geschwindigkeit deutlich und bog auf ein Lagergelände für Container ein. Dort hielt der Fahrer nach einigen hundert Metern an. Crissys Herz stockte, als sich die Trennscheibe langsam nach unten bewegte. Ein unangenehmer Geruch drang an ihre Nase.
„Was wollen Sie von mir?“ Crissys Stimme überschlug sich. Ganz langsam drehte sich der Fahrer zu ihr um. Crissy gefror das Blut in den Adern, als sie seinen Totenschädel erblickte. Das Letzte, was sie wahrnahm, waren die beiden blauen Flammen, die in seinen leeren Augenhöhlen flackerten. Dann schoss der linke Arm des Monsters auf ihr Gesicht zu und Zeige- und Mittelfinger der Skeletthand bohrten sich durch ihre Augäpfel.

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