Kapitel 1 - Kostenlose Leseprobe

Der leitende Officer Chris Taylor hatte das kleine Polizeirevier in East Aurora um 4:45 Uhr verlassen, um für die Nachtbesetzung frischen Kaffee und Bagels zu besorgen. Um diese Jahreszeit im November war es da noch stockdunkel.

East Aurora ganz im Norden des Staates New York hatte nur knapp 6.000 Einwohner, aber weil im Ort die Spielwarenfirma Fisher Price ansässig war, wo rund um die Uhr in Schichten gearbeitet wurde, lohnte es sich für den Breakfast-Shop auf der Main Street, bereits um fünf Uhr morgens zu öffnen. Das Polizeirevier selbst lag etwas abseits in einem kleinen Gewerbegebiet, in dem zu dieser nachtschlafenden Zeit noch niemand unterwegs war.

Die Nachtbesetzung bestand heute neben Taylor selbst aus Officer Mike Osborn und Officer Richie Sebastian. Osborn war ein beleibter, gemütlicher Mittfünfziger. Der alte Hase hatte in seinen knapp 35 Jahren als Cop schon so gut wie alles gesehen. Jetzt wollte er sein Berufsleben in diesem beschaulichen Städtchen vor den Toren Buffalos nur noch ruhig ausklingen lassen. Richie Sebastian war im Vergleich dazu das genaue Gegenteil, ein Grünschnabel von Anfang zwanzig, der darauf brannte, sich die Hörner abzustoßen. 

Officer Taylor hatte seinen Dienstwagen auf dem weitläufigen, ansonsten leeren Parkplatz abgestellt und wollte, in der einen Hand die Tüte mit den Bagels, in der anderen ein Tablett mit Kaffee, das Revier betreten. Doch da hörte er plötzlich hinter sich laute Motorengeräusche und quietschende Reifen. Zwei Ford Transit kamen mit hoher Geschwindigkeit auf den Hof gerast. Taylor sah, wie die Türen der Fahrzeuge aufflogen und Männer mit Sturmgewehren heraussprangen. Der Officer ließ augenblicklich die Tüte und das Tablett mit dem Kaffee fallen und griff nach der Eingangstür, doch in diesem Moment schlugen schon die ersten Kugeln um ihn herum ein. Taylor stieß die Tür auf und rettete sich mit einem Hechtsprung ins Innere. Dort war er sofort wieder auf den Beinen, warf die Tür ins Schloss und schlug auf den Security-Button. Über der Tür und über allen Fenstern begannen Motoren zu rattern, und schusssichere Rollläden wurden heruntergelassen. Der Officer war heilfroh, dass diese Sicherheitseinrichtung in seinem Revier als einem der Ersten im Raum Buffalo eingebaut worden war. Als damals die Entscheidung anstand, hatte Taylor Kollegen mit Revieren an gefährlicheren Orten den Vortritt lassen wollen, doch aus irgendeinem Grund war es anders gekommen.

„Wir werden angegriffen, Waffenschrank auf“, schrie der Revierleiter, doch Mike Osborn hielt ihm schon einen Colt M4 Karabiner entgegen, die Standard-Langwaffe der New Yorker Polizei. 

„Sehr gut, dann ruf jetzt sofort die Kollegen in Buffalo an. Wir brauchen hier dringend Verstärkung.“

Osborn hob das Telefon auf einem der Schreibtische ab und drückte die Kurzwahltaste. Nach einigen Sekunden blickte er entgeistert auf den Hörer in seiner Hand.

„Das Ding ist tot.“

In Officer Osborns Stimme schwang Überraschung mit.

„Dann nimm dein Handy.“

Der sonst so gemütliche Cop kramte hektisch sein iPhone aus der Tasche seiner Uniformjacke, wählte die Nummer der Polizei in Buffalo und hielt sich das Gerät ans Ohr.

„Auch tot.“

„Das gibt’s doch nicht“, stöhnte der Revierleiter, „wir müssen doch irgendwie eine Verbindung zu den Kollegen in der Großstadt herstellen können.“

Mike Osborn zuckte ratlos mit den Schultern.

Officer Sebastian hatte sich zwischenzeitlich auch einen Karabiner geschnappt und spähte durch einen der Schießschächte, die in die schussfesten Rollläden eingelassen waren.

„Die Typen sind hinter ihren Vans in Deckung gegangen und belauern uns.“

Sebastian schob seinen Lauf durch die Öffnung und augenblicklich folgte ein lautes Trommeln, als die Kugeln der Angreifer von außen auf die Rollläden prasselten. Erschrocken zog der junge Cop seine Waffe zurück und ließ sich auf den Boden fallen. Er war von einer Sekunde auf die andere kreidebleich geworden.

„Was ist denn da draußen los?“, erklang in diesem Moment eine laute und tiefe Stimme aus dem kleinen Zellentrakt im hinteren Bereich des Reviers. Dort gab es einen kurzen Gang, an dem zwei spartanisch ausgestattete Arrestzellen lagen.

„Den Spinner haben wir ja auch noch“, bemerkte Mike Osborn trocken. 

Revierleiter Chris Taylor war nicht entgangen, dass sein junger Kollege Richie Sebastian beinahe die Nerven verloren hatte, als die Kugeln in der Nähe des Schießschachts einschlugen. Ablenkung würde ihm guttun.

„Richie, geh nach hinten und beruhige unseren Gast ein wenig. Erzähl ihm irgendeine Märchengeschichte von einer Übung oder so etwas. Hauptsache, er hält die Klappe.“

Officer Sebastian robbte auf dem Boden liegend von der Schießscharte weg in Richtung Zellentrakt und erhob sich erst, als er den kleinen Gang fast erreicht hatte. Mike Osborn beobachtete das skurrile Schauspiel, das sein junger Kollege bot, mit Kopfschütteln. 

Als der junge Cop den Zellentrakt betrat, hatte sich der Gefangene bereits von seiner Pritsche erhoben und umklammerte mit beiden Fäusten die Gitterstäbe seiner Zelle. Der Mann war circa dreißig Jahre alt und seine Gesichtszüge verrieten seine italienische Abstammung. Er trug seine schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt. Die Frisiercreme, die er benutzte, glänzte pomadig. Seine Kleidung war lässig, aber augenscheinlich sehr teuer. Richie Sebastian wusste nur, dass dieser Typ gestern auf der Perry Road in Richtung East Aurora in seinem Ford Mustang mit stark überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war und deshalb von einer Polizeistreife angehalten wurde. Bei der folgenden Festnahme hatte er den wilden Mann markiert. Angeblich habe er sogar versucht, einem Beamten in den Hals zu beißen, bevor die Handschellen klickten.

„Was ist da draußen los, verdammt noch mal?“, schrie der Mann, als er den Cop erblickte.

Richie Sebastian ärgerte sich maßlos über sich selbst und darüber, dass sein Vorgesetzter und der Kollege Osborn bemerkt hatten, dass ihm das Herz in die Hose gerutscht war, als die Kugeln flogen. Das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein rotzfrecher Gefangener, und schon gar nicht hatte er Lust darauf, diesen Typen zu beruhigen, wie es eigentlich sein Auftrag war.

„In diesem Ton nicht mit mir, Freundchen“, herrschte er den Mann in der Zelle an, „und du sprichst mich gefälligst mit ‚Sir‘ an, sonst setzt es eine Tracht Prügel.“

Der Mann hinter den Gitterstäben hob erstaunt die Augenbrauen.

„Was ist denn mit dir los, Bübchen? Hat Mama dir nicht gezeigt, wo dein Platz in dieser Welt ist?“

Der Gefangene wartete auf eine Antwort. Doch da hatte Officer Sebastian schon seinen Schlagstock aus dem Gürtel gezogen und schlug nach der linken Faust des Mannes, die immer noch die Gitterstäbe umklammerte. Doch zur großen Überraschung des jungen Cops zog der Gefangene seine Linke blitzschnell aus der Gefahrenzone, während die rechte Hand nach vorn schoss und sein Gegenüber am Kragen packte. Eine kurze ruckartige Bewegung und Richie Sebastians Gesicht donnerte gegen die Gitterstäbe. Verschwommen nahm der Cop wahr, dass die Augen des Mannes hinter den Gitterstäben feuerrot angelaufen waren. Dann öffnete der Gefangene den Mund und seine Vampirzähne kamen zum Vorschein.

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